Stand: 14.05.2021 15:25 Uhr

Frauenquoten für Festivals - ist das sinnvoll?

Die großen Festivalbühnen gehören zum allergrößten Teil männlichen Künstlern. Wäre eine Art Frauenquote sinnvoll, um diesen Missstand zu beheben? Die Sichtweisen von Künstlerinnen und die Herangehensweisen von Veranstaltern unterscheiden sich teils stark.

Ob in den Charts, bei Musikpreisverleihungen oder eben auf Festivalbühnen: Erfolgreiche Musiker sind überwiegend männlich. So wurden laut einer Studie zwischen 2012 und 2019 nur 21,7 Prozent der 800 populärsten Songs in den US-Charts von Frauen performt. Das gleiche Forscherteam der University of Southern California hat außerdem errechnet: Zwischen 2013 und 2020 gingen nur 143 von 1.220 Grammy-Nominierungen - also gerade einmal 11,7 Prozent - an Frauen.

Ein Bild, das sich auch in Sachen Live-Events widerspiegelt. Ein Blick auf die Line-ups der großen deutschen Festivals und beispielhafte Auszählungen einzelner Festivalprogramme zeigt schnell, dass auch die Bühnen meist Männern gehören. Damit sind wir in Deutschland nicht allein: Eine zum Weltfrauentag 2020 veröffentlichte Auswertung internationaler Line-ups von Festivals für elektronische Musik hat zum Beispiel ergeben, dass 2019 nur knapp 25 Prozent aller Acts weiblich waren. Immerhin: Im Jahr 2012 waren es der Studie zufolge nur etwa 9 Prozent.

Mehr Frauen auf die Bühne - des Rätsels ganze Lösung?

Ein Festival, bei dem dieser Gender-Gap geschlossen werden soll, ist das Reeperbahn Festival in Hamburg: Die Veranstalter streben im Rahmen der Initiative "Keychange" eine faire Verteilung von Künstlerinnen und Künstlern im Line-up an.

Laut Musikdirektor Björn Pfarr waren beim Reeperbahn Festival 2019 bereits 44 Prozent der Acts weiblich, im vergangenen Jahr sogar knapp 49 Prozent. "Da haben wir fast 50:50 geschafft - und wir sind sehr guter Dinge, dass wir das mit der Parität für 2021 hinbekommen", so Pfarr im N-JOY Interview. Er macht aber auch deutlich, dass eine solche "Festival-Frauenquote" nicht die ganze Lösung sein kann:

Die Festivals sind ja auch davon abhängig, welche Acts groß gemacht werden. Also sind alle - die Plattenfirmen, die Radiostationen, die Streamingdienste, die Verlage - gefragt, daran mitzuarbeiten. Björn Pfarr

 

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Airbeat One: "Man setzt als Festival auf die Artists, die stark gefragt sind"

Das Reeperbahn Festival ist ein Clubfestival mit vielen kleineren Bühnen, das vor allem auch Newcomerinnen und Newcomer supportet. Pfarr glaubt, dass seine Kolleginnen und Kollegen, die mit ihren Line-ups 70.000 oder 80.000 Tickets verkaufen müssen, es im Moment noch schwerer haben, mehr Frauen auf die Bühne zu bekommen - "weil es de facto im Moment weniger female Headliner oder richtige big Names gibt."

Was der Sprecher des Airbeat One Dance Festivals im N-JOY Interview erklärt, bestätigt diese Vermutung: "Wir würden gerne viel, viel mehr weibliche Artists und DJs einsetzen", so Oliver Franke. Im DJ-Bereich sei die Auswahl aber nicht ganz so groß wie in anderen Musiksparten. "Dementsprechend setzt man als Festival natürlich immer auf die Artists, die von den Besuchern sehr stark gefragt sind", so Franke weiter.

Bereits im Frühjahr 2020 erklärte er, es müssten mehr weibliche Artists den Einzug in die Charts finden: "Wenn du als DJane eine Produktion in den Charts hast, hast du mehr Aufmerksamkeit, mehr Fans und wirst automatisch mehr gebucht." Ein Teufelskreis: Chart-Acts sorgen für mehr Ticketverkäufe, andererseits könnten große Festivalauftritte ja auch dazu beitragen, weibliche Artists in die Charts zu heben. Wo sollte man also ansetzen, Frauen mehr zu unterstützen?

Larissa Rieß: "Ich finde eine Frauenquote bei Festivals verheerend"

Wenn es nach der bekannten DJane Larissa Rieß aka Lari Luke geht, sind Frauenquoten für Festivals nicht der richtige Ansatz.

Wieso muss man eine 50:50-Verteilung anstreben? Lasst doch die Leute den Beruf wählen, den sie wollen, und nicht eine Geschlechterumverteilung forcieren.

Rieß meint, es könne gut sein, dass der DJ-Job vielleicht Männern eher gefalle. "Wir leben in einem freien Land, in dem jeder das Recht hat, DJ zu werden. Frauen zu viktimisieren, indem man ihnen vielleicht sogar unterstellt, sie hätten Angst oder würden sich nicht zutrauen, DJ zu werden, finde ich falsch", so die Künstlerin im N-JOY Interview. Frauen seien gute DJs, weshalb sie keine Hilfe bräuchten. Eine Frauenquote bei Festivals hält Rieß für "verheerend":

Ich meine, was wollen wir damit? Wollen wir, dass Frauen dadurch eher ernst genommen werden? Das führt ja genau zum Gegenteil. Wenn wir Frauen auf die Bühne stellen, weil sie Frauen sind, wird sie keiner als DJ ernst nehmen.

Sie werde ernst genommen, weil sie wie ihre anderen Kollegen ihre Arbeit gemacht habe - und das "scheinbar ganz gut". Auf diese Weise habe sie sich ihren Platz erspielt.

Jennifer Weist: "Wir haben so gute Musikerinnen in Deutschland!"

Larissa Rieß interessiert es laut eigener Aussage nicht, wer die Musik macht - ihr sei es immer um die Kunst gegangen. Für ihre Musiker-Kollegin Jennifer Weist, Frontsängerin der Band Jennifer Rostock, spielt es hingegen eine große Rolle, wie ausgewogen das Line-up eines Festivals ist:

Ich persönlich muss sagen: Ich würde nicht mehr auf einem Festival spielen, bei dem das Line-up stark männerdominiert ist. Und ich fände es schön, wenn ich das - diesen Satz, den ich gerade gesagt habe - auch mal aus dem Mund von einem meiner männlichen Kollegen hören würde."

Bei den nächsten Festivals werde man sehen, ob das "Anprangern und Lautsein" der vergangenen Jahre Früchte trage. Ausreden lässt Jennifer Weist nicht mehr gelten: "Wir haben so gute Musikerinnen in Deutschland! Jetzt zu sagen: 'Da gab es niemanden, den ich buchen konnte' - das ist jetzt auf jeden Fall keine Ausrede mehr."

"Representation is key": Mehr Frauen hinter die Kulissen?

Eine Art Frauenquote für Festivalbühnen und ihre Umsetzbarkeit ist also umstritten. Einigkeit scheint aber immerhin in einem Punkt zu herrschen: Mehr Frauen auf Festivalbühnen zu bringen, kann nicht der einzige Schritt sein, um Künstlerinnen zu unterstützen. Immer wieder klingt an, dass die Förderung weiblicher Talente auch an anderer Stelle stattfinden muss.

Dabei könnte ein Ansatz sein, auch die personelle Situation hinter den Kulissen zu hinterfragen. "Ich glaube, dass zu viele Dudes in hohen Positionen sind und sich zieren, Frauen mit an den Tisch zu holen", erklärte die Sängerin Alice Martin von Chefboss bereits im vergangenen Jahr im N-JOY Interview. Ein Aspekt, den auch Jennifer Weist und Björn Pfarr aufgreifen:

Es verändert sich so langsam, aber die Big-Player werden immer noch von Männern geführt. Die Top-Positionen sind fast nie mit Frauen besetzt. Im Live-Business gibt es ein paar Ausnahmen, aber ansonsten ist das noch sehr, sehr rar. Björn Pfarr, Musikdirektor Reeperbahn Festival
Representation is key, würde ich sagen - wie überall. Deshalb: Mehr Frauen als Booker*innen, als Festivalveranstalter*innen, überhaupt als Entscheidungsträger*innen - das würde auf jeden Fall helfen, denke ich. Jennifer Weist, Sängerin

 

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Dieses Thema im Programm:

N-JOY | N-JOY mit Anne Raddatz | 08.03.2021 | 09:00 Uhr

N-JOY © NDR
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