Stand: 05.03.2021 18:00 Uhr

Warum Frauen es in der Musikbranche noch immer schwer haben

Die Charts, die Grammys und viele Festivalbühnen werden noch immer von Männern dominiert. Frauen sind aber nicht nur seltener erfolgreich - viele haben in der Musikbranche auch mit anderen Hürden zu kämpfen.

Was haben Dua Lipa, Lea, Ava Max, Zoe Wees und Billie Eilish gemeinsam? Ganz einfach: Sie alle hatten 2020 mindestens einen Song in den offiziellen deutschen Single-Jahrescharts. Es gibt sie also, die Leuchttürme - aber eben verhältnismäßig selten.

Erhebungen zeigen: Die Charts werden von Männern dominiert, sowohl bei uns in Deutschland als auch international. So wurden, wie eine Auswertung zeigt, zwischen 2012 und 2019 beispielsweise nur 21,7 Prozent der 800 populärsten Songs in den US-Charts von Frauen performt. Gerade einmal 12,5 Prozent der Songwriter waren weiblich. Frauen scheinen im Musikbusiness also noch immer geringere Erfolgsaussichten zu haben.

Der Grammy Gender Gap

Darauf deutet auch ein Blick auf die Nominierten für den wichtigsten Musikpreis der Welt hin: Laut einer Erhebung der University of Southern California gingen zwischen 2013 und 2020 nur 143 von 1.220 Grammy-Nominierungen an Frauen. Das entspricht gerade einmal 11,7 Prozent. Besonders düster sah es im untersuchten Zeitraum in den Kategorien "Aufnahme des Jahres" (8,2 Prozent), "Album des Jahres" (7,6 Prozent) und "Produzent des Jahres" (2,3 Prozent) aus.

Lediglich in der Kategorie der besten neuen Künstlerinnen und Künstler waren in den vergangenen acht Jahren immerhin 42 Prozent der Nominierten weiblich. Auch dass der Anteil der nominierten Künstlerinnen im Jahr 2020 insgesamt mit 20,5 Prozent einen neuen Peak erreicht hat, macht Hoffnung.

Niedriger Frauenanteil: Woran liegt's?

Aber warum muss sich in dieser Hinsicht überhaupt jemand an Hoffnungen klammern? An weiblichen Nachwuchstalenten mangelt es schließlich nicht. Auch sind Frauen sicherlich keine schlechteren Musikerinnen. Das zeigt allein der Fakt, dass hinter vielen Songs von erfolgreichen Stars wie Calvin Harris, Ed Sheeran, Justin Bieber und den Chainsmokers weibliche Songwriterinnen stehen.

Doch woran liegt es dann, dass Sängerinnen, Rapperinnen und DJanes in unterschiedlichen Bereichen der Musikindustrie oft unterrepräsentiert sind? Und wie nehmen Künstlerinnen ihre eigene Rolle wahr? Die Erlebnisse und Erfahrungen von bereits erfolgreichen Musikerinnen sind unterschiedlich, doch eines blitzt immer wieder durch: Viele Frauen fühlen sich sowohl in der Öffentlichkeit als auch hinter den Kulissen der Musikbranche anders gesehen und behandelt als ihre männlichen Kollegen.

Frauen in der Popmusik: Nichts als nackte Haut?

Lena, die immerhin zu den erfolgreichsten deutschen Künstlerinnen gehört, hat das in ihrem Arbeitsumfeld häufig erlebt, wie sie Anfang 2020 in einem N-JOY Interview erzählt:

Ich hatte schon oft das Gefühl, dass es egal ist, ob ich etwas sage oder nicht. Dieses 'wir lassen sie das kurz sagen und danach reden wir weiter über unseren Kram'. Aus so einer Position heraus ist es schwierig, auf sich aufmerksam zu machen, ohne 'zickig' oder 'hysterisch' zu werden - diese ganzen Begrifflichkeiten, die dann benutzt werden.

Auch von der Öffentlichkeit fühlt sich Lena anders beurteilt als ihre männlichen Kollegen: "Wenn ich zehn normale Fotos bei Instagram poste und eines, auf dem man ein bisschen mehr Haut sieht - dann ist es das, worüber berichtet wird. Man wird total darauf reduziert."

Frauen in der DJ-Szene: "Meine DJ-Kollegen respektieren mich"

Anders beäugt werden als die männlichen Kollegen - das erlebt die erfolgreiche DJane Lovra aus Berlin vor allem bezogen auf ein sehr gängiges Klischee: Frauen und Technik. "Bei einer Frau wird noch mal extra geschaut: Wie mixt die? Mixt sie wirklich? Legt die mit einem Laptop auf oder nicht?", schildert sie.

Ihr Erfolg zeigt, dass Lovra mit ihrem Handwerk überzeugen kann. Auch sonst fühlt sie sich wohl in der Szene, in der ganz oben an der Spitze mit David Guetta, Felix Jaehn, Martin Garrix, Robin Schulz und Co. zu einem Großteil Männer stehen:

Bestimmt gab es ein paar Situationen, in denen ich gedacht habe, dass es als Kerl vielleicht anders gelaufen wäre. Aber ich werde immer ernst genommen und habe eigentlich keine Probleme. Die männlichen DJ-Kollegen sind immer sehr nett zu mir und respektieren mich. Lovra im N-JOY Interview

Frauen im Hip Hop: Nur "Groupie-Nutten"?

Die Sache mit dem Respekt gegenüber Frauen erlebt die Rapperin Sookee in ihrer Szene anders, wie sie bei einer Diskussion auf dem Reeperbahn Festival 2018 sagt: Frauen würden in der Rap-Szene oft als "Groupie-Nutten" statt als Expertinnen gelten. Sookee sieht nicht nur die Texte einiger Deutschrap-Künstler kritisch, sondern auch, wie Frauen hinter den Kulissen behandelt werden.

Auch Maike und Alice von Chefboss glauben, dass Frauen es im Musikbusiness schwerer haben als Männer. "Ich glaube, dass zu viele Dudes in hohen Positionen sind und sich zieren, Frauen mit an den Tisch zu holen", erklärt Alice.

Frauen auf Festivals: Line-ups werden meist von Männern dominiert

Jennifer Weist, Frontfrau der Band Jennifer Rostock, glaubt ebenfalls, dass es helfen könnte, mehr Frauen an den sinnbildlichen Tisch zu holen - zum Beispiel, wenn es darum geht, dass der Anteil von Frauen auf den großen Festivalbühnen insgesamt eher klein ist.

Representation is key, würde ich sagen - wie überall. Deshalb: Mehr Frauen als Booker*innen, als Festivalveranstalter*innen, überhaupt als Entscheidungsträger*innen - das würde auf jeden Fall helfen, denke ich. Jennifer Weist im N-JOY Interview

Sie persönlich würde nicht mehr auf einem Festival spielen, dessen Line-up stark männerdominiert sei. Die DJane und Moderatorin Larissa Rieß fände eine Art Frauenquote bei Festivals hingegen "verheerend". Mehr zu dieser Diskussion lest ihr hier.

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Initiative "Keychange": Mehr Frauen auf die Festivalbühne

Auch Festivalveranstalter gehen mit der ungleichen Geschlechterverteilung unterschiedlich um. Das Reeperbahn Festival möchte im Rahmen der Initiative "Keychange" zum Beispiel eine faire Verteilung zwischen männlichen und weiblichen Künstlerinnen und Künstlern im Line-up erreichen.

Auch die Veranstalter des Airbeat One Dance Festivals buchen gerne DJanes. Für das Airbeat One 2020, das Corona-bedingt schlussendlich ausfallen musste, lag der Frauenanteil im Frühjahr 2020 allerdings nur bei knapp zehn Prozent. "Wir würden gerne viel, viel mehr weibliche Artists und DJs einsetzen", erklärt Airbeat-One-Sprecher Oliver Franke im N-JOY Interview. Im DJ-Bereich sei die Auswahl aber nicht ganz so groß wie in anderen Musiksparten. "Dementsprechend setzt man als Festival natürlich immer auf die Artists, die von den Besuchern sehr stark gefragt sind", so Franke weiter.

Wie können weibliche Acts sichtbarer werden?

Ein Teufelskreis: Besonders gefragte Chart-Acts sorgen für mehr Ticketverkäufe - andererseits könnten große Festivalauftritte auch dazu beitragen, weibliche Artists in die Charts zu heben.

Am Ende entscheiden auch die Fans mit ihren Streamingaufrufen oder Musikkäufen, welche Songs es in die Charts schaffen und welche Künstlerinnen oder Künstler sich für Live-Events am besten verkaufen. Damit die Fans überhaupt die Wahl haben, müssten weibliche Acts allerdings sichtbarer werden und unter gleichen Bedingungen arbeiten können wie ihre männlichen Kollegen. Das letzte Wort dazu, wie dies gelingen kann, scheint allerdings noch längst nicht gesprochen.

Radio-Aktion

Gleichberechtigung: "Women In Music Days"

Um die Leistungen von Frauen in der Musikbranche bekannter zu machen und sie zu feiern, beteiligt N-JOY sich an der Aktion "Women In Music Days", die zum Weltfrauentag am 8. März startet. Ziel der Aktion, die von der European Broadcasting Union (EBU) initiiert wurde, ist eine Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Musikbusiness. Mehr dazu erfahrt ihr hier.

 

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Dieses Thema im Programm:

N-JOY | N-JOY mit Anne Raddatz | 08.03.2021 | 09:00 Uhr

N-JOY © NDR
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