Stand: 08.07.2024 08:47 Uhr | AutorIn: Anthrin Scheel

"Ertrinken sieht nicht aus wie Ertrinken"

Wenn jemand im Wasser in Not gerät, bekommen andere Badegäste das oft nicht mit. Zeit, das zu ändern!

Jedes Jahr sterben in Deutschland im Schnitt fast 400 Menschen durch Ertrinken. 2023 waren es laut der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) mindestens 378 Menschen - das sind 23 Personen mehr als 2022. Bei Kindern bis 15 Jahren ist der Tod durch Ertrinken sogar eine der häufigsten Unfall-Todesursachen. Noch erschreckender ist aber: In vielen Fällen sind weitere Badegäste oder sogar die Eltern in unmittelbarer Nähe und beobachten - wenn auch unbewusst - wie ein Mensch ertrinkt.

Thies Wolfhagen von der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) erklärt im N-JOY Interview, woran ihr erkennt, dass jemand in Not ist, wie ihr helfen könnt - und worauf ihr achten solltet, um gar nicht erst in eine solche Situation zu kommen.

Herr Wolfhagen, woran liegt es, dass so oft Menschen ertrinken, ohne dass es jemand bemerkt - selbst wenn in 20 Metern Entfernung jemand schwimmt?

Das hängt oft damit zusammen, dass Ertrinken gar nicht wie Ertrinken aussieht. Es ist nicht so, wie wir es aus dem Fernsehen kennen, dass jemand winkt und um Hilfe schreit. Die körperlichen Reflexe sorgen dafür, dass ein Ertrinkender still untergeht und gar nicht mehr in der Lage ist, zu rufen oder zu winken. Solange man Kinder beim Spielen hört, ist in der Regel alles in Ordnung - obwohl man sie natürlich trotzdem im Auge behalten sollte. Wenn es ruhig wird, wird es meistens brenzlig.

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Wenn Ertrinken nicht so aussieht, wie wir es uns vorstellen - auf welche Anzeichen sollten wir achten?

Darauf, dass eine Person ganz ruhig wird, dass der Kopf unter Wasser geht. In Not geratene Personen stehen senkrecht im Wasser, haben die Arme auf die Wasseroberfläche gepresst, sind mit dem Gesicht fast unter Wasser und versuchen, mit dem Mund an die Wasseroberfläche zu kommen. Das Gesicht wird meist ausdruckslos, die Augen werden starr oder sind geschlossen. Außerdem hängen die Haare im Gesicht und die Bewegungen konzentrieren sich nur noch darauf, die Wasseroberfläche zu erreichen und nach Luft zu schnappen. Rufen, Winken und Planschen finden da in der Regel nicht statt.

Wenn wir bemerken, dass jemand in Not ist - was sollten wir als Erstes tun?

Wenn die Person noch in der Lage ist, nach etwas zu greifen und sich daran festzuhalten, können wir einen Auftriebskörper oder eine Stange ins Wasser werfen. Wenn wir selbst ins Wasser springen müssen, ist es sehr sinnvoll, vorher zum Beispiel den Handtuchnachbarn zu informieren, damit wir selbst unter Beobachtung stehen, wenn wir Hilfe leisten. Sehr ratsam ist es auch, eine Luftmatratze oder eine Gummi-Ente mit ins Wasser zu nehmen, damit wir uns selbst festhalten oder sie dem Ertrinkenden reichen können.

Da klingt mit, dass wir uns als Retter auch selbst in Gefahr bringen.

Es gibt auf jeden Fall Gefahren. Je weiter die Ertrinkungssituation fortgeschritten ist, desto panischer werden die Personen. Wenn man auf Ertrinkende zuschwimmt, kann es sein, dass sie versuchen, sich festzuklammern und sich selbst über Wasser zu drücken, um nach Luft zu schnappen. Da sollte man aufpassen, einen Abstand halten und am besten einen Schwimmkörper zwischen sich und den Ertrinkenden halten.

Außerdem sollte man sich als Retter nicht überschätzen und sich Hilfe suchen oder zu zweit ins Wasser gehen. Was man auf keinen Fall vergessen sollte, ist, Rettungsschwimmer in der Nähe zu informieren oder die 112 zu wählen - am besten, bevor man ins Wasser geht.

Wo sollten wir denn mit dem Schwimmen besonders vorsichtig sein, um gar nicht erst in Not zu geraten?

Besonders gefährlich ist es in Tidengewässern - zum Beispiel in der Nordsee, mit Ebbe und Flut. Aber auch in der Ostsee, in der es zu starken Strömungen kommen kann. Man sollte nur in ausgewiesenen abgegrenzten Badebereichen schwimmen und nicht dort, wo Wassersportler unterwegs sind. Am besten schwimmen Sie an einem bewachten Badestrand mit Rettungsschwimmern. Im Falle der DLRG erkennt man dies zum Beispiel an einer rot-gelben Flagge an der Rettungsstation.

Apropos Flaggen: Was sagen die unterschiedlichen Farben aus?

Gelbe und rote Flaggen kündigen ein Badeverbot an. Bei einer gelben Flagge sollte man das Schwimmen möglichst vermeiden, vor allem, wenn man ein ungeübter Schwimmer ist. Wenn nur noch eine rote Flagge am Mast der Rettungsschwimmerstation hängt, sollte man auf gar keinen Fall mehr ins Wasser gehen. Die rote Flagge zeigt ein absolutes Badeverbot. Baden ist dann lebensgefährlich.

Der Großteil der Menschen, die ertrinken, verlieren ihr Leben nicht etwa im Meer, sondern in Flüssen, Bächen, Seen und Kanälen. Warum ist es in Binnengewässern so gefährlich?

Sie sind die größeren Unfallschwerpunkte, weil an den Badestränden der Küste in der Regel Rettungsschwimmer unterwegs sind. Außerdem sind Badegäste dort relativ gut über die Gefahren informiert und haben einen gewissen Respekt. Bei den Binnengewässern wird oft an Stellen gebadet, die nicht als Badestellen eingerichtet sind und an denen Badegäste ganz ohne Sicherheit ins Wasser gehen.

Verwunderlich ist auch, dass in der Nordsee viel weniger Menschen ertrinken als in der Ostsee. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Wir führen das ein Stück weit darauf zurück, dass die Badegäste an der Nordsee aufgrund von Ebbe und Flut mit noch mehr Respekt baden gehen. Die Gästezahlen sind an den Nordseestränden allerdings auch ein bisschen kleiner. Außerdem gab es an der Ostsee in den vergangenen Jahren Wetterlagen, die das Baden sehr riskant gemacht haben und für gefährliche Strömungen gesorgt haben. Sehr wahrscheinlich unterschätzen viele die Risiken an der Ostsee, weil sie wie ein friedliches Gewässer wirkt, obwohl sie auch große Gefahren birgt.

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