Stand: 16.05.2023 16:14 Uhr | AutorIn: Anthrin Scheel

Kinderwunschbehandlung: "Es war ein langer Trauerprozess"

Caro und ihre Frau wünschen sich ein eigenes Kind. Als sich herausstellt, dass Caro Probleme mit ihrer Fruchtbarkeit hat, müssen sie als homosexuelles Paar jedoch die Grenzen der Gleichstellung in Deutschland erleben. Zahlreiche emotionale Monate und etwa 30.000 Euro später hoffen sie nun, dass ihr Kinderwunsch auf einem anderen Wege in Erfüllung geht.

Seit sie ein Teenager ist, weiß Caro, dass sie einmal Kinder möchte. 2018 heiratet sie ihre heutige Frau, gemeinsam kaufen die beiden ein Haus in einer niedersächsischen Kleinstadt. Was das gemeinsame Glück perfekt machen würde, ist der Nachwuchs. "Wir haben von Anfang an darüber gesprochen, nach der Hochzeit wollten wir es in Angriff nehmen", erzählt die 31-Jährige im N-JOY Interview.

Voller Tatendrang loten Caro und ihre Frau ihre Möglichkeiten aus. Was sie zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen: Den beiden steht eine Zeit voller Herausforderungen bevor - emotionaler, aber auch finanzieller Art.

Die Hoffnung: Spendersamen aus Dänemark

Zu Beginn ihrer Kinderplanung sind Caro und ihre Frau sich schnell einig: Da ihre Frau aus persönlichen Gründen nicht schwanger werden möchte, soll Caro diejenige sein, die das Kind austrägt. Gemeinsam machen sie sich viele Gedanken, wie sie an Spendersamen kommen: Sollen sie einen Bekannten fragen oder den Weg über eine Samenbank gehen? Soll die Befruchtung unter klinischen Bedingungen oder zu Hause stattfinden? Soll der Nachwuchs den biologischen Vater kontaktieren können oder nicht?

Fest steht: Ein anonymer privater Spender aus dem Internet soll es nicht sein. Nach einem Termin in einem Kinderwunschzentrum beschließen die beiden, über eine Klinik in Dänemark eine Samenspende zu bestellen. Der Plan: Der Spendersamen wird per Post zugestellt und anschließend zu Hause selbst injiziert. Unter drei Optionen wählen sie die teuerste Variante. "Das sind die Spender, die später auf jeden Fall für das Kind kontaktierbar sind - das war für uns das Mittel der Wahl", erinnert sich Caro. Kostenpunkt: 2.000 bis 2.500 Euro pro Spende.


Kinderwunsch: "Ein Monatsgehalt ging immer für die Versuche drauf"

Über Monate hinweg beobachtet das Paar Caros Eisprung, um zum richtigen Zeitpunkt Spendersamen zu bestellen. Irgendwann steht der Postbote "mit einer Art Ufo" vor der Tür - es geht los.

Das ist wie im Science-Fiction-Film: Man dreht es auf, da kommt Nebel von der Kühlflüssigkeit raus und dann holt man kleine Halme raus. Die muss man erwärmen und auf eine Spritze ziehen. Das wird dann recht unromantisch eingeführt, danach soll man den Hintern hochlegen. Das hat nicht viel von Romantik. Caro im N-JOY Interview

Was die beiden zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Die Chance, dass eine Befruchtung bei Caro mit dieser Methode klappt, ist gering. Mehrfach bestellen sie sich Samen aus dem "Katalog" und versuchen, schwanger zu werden, indem sie diese mit einer Spritze zu Hause selbst einführen. "Ein Monatsgehalt ging immer für die Versuche drauf", erzählt Caro. Ein Kostenpunkt, der aufgrund der Tatsache, dass es in der Beziehung keinen Mann gibt, durchaus einkalkuliert ist. Dennoch wird die Sorge größer: "Wir hatten ein Haus gekauft, haben jeden Cent umgedreht."

Kinderwunschbehandlung bei homosexuellen Paaren: "Selbst der Arzt war geschockt"

Nach vier Versuchen wird Caro und ihrer Frau klar: So kann es nicht weitergehen. "Und dann haben wir gesagt: Wir schauen mal, ob vielleicht bei mir irgendwas vorliegt, und sind doch wieder zur Kinderwunschklinik." Mit Hilfe von drei Schnitten im Bauch untersuchen die Ärzte dort unter anderem Caros Schleimhautaufbau und ihre Eierstöcke. Das Ergebnis: Einer der Eierstöcke ist nicht durchgängig, Caros Eizellen sind nicht gut. Die Ärzte eröffnen ihr, dass die Wahrscheinlichkeit, auf natürlichem Wege schwanger zu werden, um 50 Prozent gemindert ist.

Danach bin ich erst mal zusammengebrochen. Ich habe bitterlich geweint. Wir wussten, wenn so etwas rauskommt, wird es für uns richtig teuer - und wir wussten nicht, wie wir das stemmen sollen. Caro im N-JOY Interview

Ihr Arzt reagiert verwundert auf diese große finanzielle Sorge: "Er meinte, wir müssten ja gar nicht so einen großen Teil bezahlen - und dann habe ich ihm gesagt: 'Wir schon'. Selbst der Arzt wusste es nicht und war geschockt."

Kinderwunsch: Heterosexuelle Paare können finanzielle Förderung beantragen

Auch in Fachkreisen scheint demnach nicht überall bekannt, was Caro und ihre Frau längst wissen: Eine verheiratete lesbische Frau bekommt bei einer Kinderwunschbehandlung vielerorts nicht die gleiche Förderung wie eine verheiratete heterosexuelle Frau mit den gleichen Fruchtbarkeitsproblemen.

Liegt in heterosexuellen Ehen ein medizinischer Grund vor, übernimmt die Krankenkasse laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unter bestimmten Bedingungen 50 Prozent der Kosten für eine Kinderwunschbehandlung. Darüber hinaus können verheiratete und unverheiratete Paare für die ersten vier Versuche einer künstlichen Befruchtung eine staatliche Förderung von bis zu 25 Prozent ihres verbleibenden Anteils beantragen - vorausgesetzt, das eigene Bundesland beteiligt sich am Förderprogramm.


Lesbische Paare mit Kinderwunsch: Vielerorts keine finanzielle Unterstützung

Genauso wie in Mecklenburg-Vorpommern ist das in Niedersachsen, dem Wohnort von Caro und ihrer Frau, zwar der Fall - doch gleichgeschlechtliche Frauenpaare sind von der Förderung ausgeschlossen. Das Niedersächsische Familien- und Gleichstellungsministerium teilt auf Anfrage mit, es sei dem Ministerium ein Anliegen, auch homosexuellen Paaren bei der Familiengründung zu helfen. Die Pläne, ab dem Jahr 2021 krankheitsbedingt kinderlose lesbische Paare mit in das Förderprogramm aufzunehmen, hätten "im Rahmen der Haushaltsverhandlungen aufgegeben" werden müssen.

Sofern ein medizinischer Grund vorliegt, fördert unter 11 teilnehmenden Bundesländern bisher nur ein Bundesland aus Landesmitteln den Kinderwunsch gleichgeschlechtlicher Frauenpaare: Rheinland-Pfalz. Auf eine Anfrage von N-JOY, welche finanzielle Unterstützung Paare in Deutschland bei der Kinderwunschbehandlung bekommen und warum in dieser Hinsicht zwischen heterosexuellen und homosexuellen Paaren unterschieden wird, teilt eine Sprecherin des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) schriftlich mit: "Eine Unterstützung von gleichgeschlechtlichen Frauenpaaren im Rahmen der Bundesinitiative kann frühestens dann erfolgen, wenn familien- und abstammungsrechtliche Fragestellungen abschließend gesetzlich geklärt wurden (z. B. Anerkennung der Mutterschaft einer weiteren Frau)."

Gemäß §27a des Sozialgesetzbuches (Fünftes Buch) würden Ehepaare nur dann eine finanzielle Unterstützung bei Kinderwunschbehandlungen erhalten, wenn diese im homologen System, also unter Verwendung der Ei- und Samenzelle der Ehepartner erfolge. "Die Bundesförderung orientiert sich derzeit eng an den Voraussetzungen gemäß § 27a SGB V, so dass eine Förderung von Behandlungen mit Fremdsamen bislang nicht möglich ist", heißt es weiter.

Zuschuss zur Kinderwunschbehandlung: Samen müssen vom Ehemann stammen

Auch die Übernahme von Kosten durch die gesetzliche Krankenkasse hängt an §27a SGB V. Dort heißt es unter anderem: "Die Leistungen der Krankenbehandlung umfassen auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn (...) ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden."

Eine biologische Voraussetzung, die zwei Frauen - genauso wie gemischtgeschlechtliche Paare, bei denen die Spermien des Mannes für eine künstliche Befruchtung ungeeignet sind - nicht erfüllen können. Die Leistungsvoraussetzung sei damit nicht gegeben, erklärt Peter Prominski vom Verband der Ersatzkassen auf Anfrage. Wie auch das Bundesfamilienministerium verweist Prominski auf die Satzungsleistungen der Krankenkassen:

Dennoch lohnt es sich, im Individualfall bei der eigenen Krankenkasse nachzufragen. So unterstützen einzelne Krankenkassen Paare im Rahmen ihrer Satzungsleistungen bei einer Kinderwunschbehandlung. Peter Prominski, Verband der Ersatzkassen

Ungleiche Behandlung: "Das tut weh"

Die Krankenkasse von Caro und ihrer Frau übernimmt einige der günstigeren Untersuchungen - den Großteil der Behandlung im Kinderwunschzentrum müssen die beiden finanziell jedoch alleine stemmen. Der Bund und das Land Niedersachsen beteiligen sich nicht an den Kosten.

"Das tut schon weh", erklärt Caro dazu. Generell habe das Paar, das offen homosexuell lebt, wenig Diskriminierung erfahren - "aber zu wissen, dass wir da so anders behandelt werden... Man fühlt sich schon wie ein Mensch zweiter Klasse." Schließlich sei die Chance, dass es bei Caro mit einem männlichen Partner auf natürlichem Wege geklappt hätte, auch sehr gering. "Bei mir liegt ein medizinischer Grund vor - wäre ich in einer heterosexuellen Ehe, wäre dieser Grund ausreichend, diese Förderung in Anspruch zu nehmen." Bei Caro und ihrer Frau sei aber nichts zu machen gewesen.

 

Hoffnung und Enttäuschung

Nach dem Termin in der Kinderwunschklinik steht für Caro und ihre Frau trotzdem fest: Sie wollen es mit der künstlichen Befruchtung versuchen. Spätestens ab diesem Punkt wird aus der finanziellen Belastung auch eine Belastung für Körper und Seele. "Ich musste mir täglich Hormone spritzen. Das ging ungefähr über drei Wochen, bis die Eizellen gereift sind", erinnert sich Caro.

Nach der hormonellen Vorbereitung werden die Eizellen abgesaugt, mit einer bestellten Samenspende außerhalb des Körpers befruchtet und anschließend wieder eingesetzt. Nach der ersten Befruchtung ist die Hoffnung groß: Caros Werte und Symptome zeigen Anzeichen einer Schwangerschaft. Doch dann die Enttäuschung: Während sie auf der Arbeit ist, bekommt Caro Blutungen.

Es folgen weitere Versuche. Weil Caros Eizellen zum Einfrieren nicht geeignet sind, beginnt das Spiel jedes Mal von vorne: Hormone, Punktion, Befruchtung, Einsatz. Durch die ständige Hormongabe spielt Caros Körper verrückt, Übelkeit und Schwindel sind ihre ständigen Begleiter. "Unser Leben war lahmgelegt - es ging nur noch um meinen Zyklus und darum, sich zu beobachten", erzählt Caro heute. Obwohl sie "wie ein Geist" rumläuft, geht Caro weiter arbeiten: "Es musste weiter laufen, weil wir das Geld brauchten."

Mehrfach macht das Paar den gesamten Prozess einer künstlichen Befruchtung durch und probiert dabei unterschiedliche Medikamente aus. Kosten: 7.000 bis 8.000 Euro pro Versuch.

Fünf Versuche, keine Schwangerschaft

Einen Wendepunkt erreicht Caros Behandlung im Januar 2020, als sich im Labor keine der entnommenen Eizellen befruchten lässt. Ihre Hoffnung schwindet zusehends: "Die Hormongabe hat mich so umgehauen, dass wir zwischendurch ein halbes Jahr nichts gemacht haben."

Im Sommer 2020 nehmen Caro, ihre Frau und die Ärzte ein letztes Mal Anlauf. Es soll der fünfte und letzte Versuch sein. "Es waren die besten Ausgangsvoraussetzungen, von 19 Eizellen wurden vier befruchtet", erzählt Caro im Interview, "aber es hat sich nichts eingenistet."

Nach emotionalen Monaten und rund 30.000 Euro merken Caro und ihre Frau: Sie müssen den Wunsch nach einer eigenen Schwangerschaft aufgeben. Rückblickend habe der Trauerprozess schon vor dem letzten Versuch begonnen: "Das war tatsächlich eine Trauer. Und nach diesem einen Versuch tat es schon noch weh, aber es tat nicht mehr so weh, weil wir uns gedanklich darauf vorbereitet hatten."

Ob sie es weiter probiert hätten, wenn die Kosten der Behandlung keine so große Rolle gespielt hätten? "Ich glaube, dass mir das viel Stress erspart hätte. Nach diesem Leerversuch denkt man: Jetzt hast du so viel Geld in den Sand gesetzt. Ich glaube, dass wir mehr Versuche gestartet hätten."

"Ich hatte einen Selbsthass"

Caro geht heute offen mit ihren Gefühlen in diesem langen Prozess um: "Mir ging es richtig schlecht. Ich hatte auch einen Selbsthass. Man denkt: Jedes Lebewesen kriegt es hin, sich fortzupflanzen - warum kann ich das nicht, was stimmt nicht mit mir?" Die Gedanken würden in einer solchen Situation abdriften. "Ich hatte wirklich manchmal den Gedanken, dass meine Frau mich verlässt, wenn ich keine Kinder kriege", gesteht sie.

Eine unbegründete Angst, wie sich schnell herausstellt. Im Nachhinein hätten die Erlebnisse der vergangenen Jahre die Beziehung sogar eher gestärkt: "Es gab eine Zeit, in der das sehr belastend war. Jetzt denken wir: Das haben wir geschafft, jetzt können wir alles schaffen. Wenn wir jetzt noch zusammen sind, trennt uns auch nichts mehr."

Caros Hoffnung: Eine Adoption

Die Zeiten, in denen Caro und ihre Frau mit einem Gefrierköfferchen auf eine Hochzeit gehen, um zur richtigen Zeit die entsprechenden Medikamente zu spritzen, ist nun vorbei. Ihren Kinderwunsch aufgeben wollen die beiden jedoch nicht - auch wenn der Traum, ein Baby in sich heranwachsen zu spüren, geplatzt ist: "Wir hatten vorher schon mal mit dem Gedanken einer Adoption gespielt. Und dann haben wir gesagt: Wir müssen jetzt den anderen Weg gehen."

Nach einem dreitägigen Seminar, diversen Fragebögen, Dokumenten, einer medizinischen Untersuchung und einem Hausbesuch durch das Jugendamt stehen sie seit etwa drei Monaten auf der Bewerberliste für eine Adoption. Vom Jugendamt fühlen sie sich als homosexuelles Paar respektvoll behandelt: "Wir freuen uns immer, wenn Leute offen sind. Und die Dame vom Jugendamt sagte: 'Ich muss Ihnen sagen, wir hatten noch kein Frauenpaar.' Aber sie waren und sind toll."

Adoption: Auf Abruf bereit

Nun heißt es wieder: warten und hoffen. Wie groß die Chancen sind, dass es klappt, kann niemand sagen - es kann von Jetzt auf Gleich passieren, manche Paare warten vergeblich. Caro und ihre Frau sind im ständigen Stand-by-Modus.

Wenn wir einen Anruf auf unserem Anrufbeantwortet haben, denken wir beide immer: Könnte es das Jugendamt sein? Manchmal denkt man 'das wird schon', manchmal denkt man 'immer noch kein Anruf'. Caro im N-JOY Interview

Caros Wünsche: Gleichstellung, rechtliche Absicherung, Offenheit

Caro redet heute offen über ihre Erfahrungen. Sie merkt, dass es ihr seitdem besser geht und dass viele Menschen ähnliche Erfahrungen machen. "Wenn Kinderwunschbehandlung nicht mehr so ein Tabu-Thema wäre und mehr darüber gesprochen würde, wäre das schön", erklärt sie auf die Frage, was sie sich wünscht.

Doch auch bei der Gleichstellung und der rechtlichen Absicherung von gleichgeschlechtlichen Paaren wünscht Caro sich eine Veränderung: "Es gibt immer mehr Familienkonstellationen, da muss man etwas tun." So dürfe Hilfe für Frauen, die aus gesundheitlichen Gründen auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen können, zum Beispiel nicht davon abhängen, ob sie heterosexuell oder homosexuell seien.

 

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Dieses Thema im Programm:

N-JOY | N-JOY mit Anne Raddatz | 31.05.2021 | 10:00 Uhr

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