Stand: 05.10.2022 17:17 Uhr

Warum wir im Laufe unseres Lebens mehr Ängste entwickeln

Woran es liegt, dass uns in immer mehr Situationen mulmig zumute ist - und was wir, wenn wir denn wollen, dagegen tun können.

Vielleicht gehört ihr auch zu diesen Menschen, die in der Kindheit in jedes Flugzeug und jede noch so krasse Achterbahn gestiegen sind. Die auf Bäume geklettert und die krassesten Ski-Pisten herunter gedüst sind.

Und vielleicht gehört ihr auch zu denjenigen, bei denen damit irgendwann Schluss war. Die im Freizeitpark mittlerweile lieber die Taschen halten, statt sich in die Achterbahn zu setzen, und im Ski-Urlaub lieber schon mal die Lage beim Après-Ski auschecken. Falls ja, lasst euch gesagt sein: Ihr seid nicht allein!

Mehr Verantwortung, mehr Angst

Kein Mensch ist frei von Angst - doch nicht nur die Auslöser, sondern auch die Intensitäten von Angst variieren von Mensch zu Mensch. Dass sich das Angst-Empfinden im Laufe des Lebens ändert, ist allerdings nicht ungewöhnlich.

Die Psychotherapeutin und Coaching-Expertin Marion Klimmer beobachtet, dass bei vielen Menschen plötzlich Ängste entstehen - und zwar oft in Bereichen, in denen sie früher ganz unbedarft und mutig waren. Sie führt dies unter anderem darauf zurück, dass wir im Laufe unseres Lebens rationaler werden.

Aber auch, dass das Erwachsensein nicht nur Verlustängste, sondern auch mehr Verantwortung - beispielsweise für unsere alternden Eltern - mit sich bringt, könnte eine Rolle spielen: "Wir betrachten immer mehr, wer wir sind und was wir haben. Und: Der Mensch entwickelt immer mehr Verpflichtungen, niemandem zu schaden. Die Verantwortung für ganz unterschiedliche Dinge steigt im Laufe des Lebens. Und dann werden wir in solchen Situation nachdenklich: Was, wenn ich das jetzt aufs Spiel setze?"

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Angst ist nicht gleich Angst

Beim Thema Angst gilt es, unterschiedliche Arten zu unterscheiden. Wir sprechen an dieser Stelle über die Furcht, in eine Achterbahn zu steigen oder eine Ski-Piste herunterzufahren.

Es gibt aber auch Ängste, die den Alltag von Betroffenen stark einschränken und sich zum Beispiel durch Panikattacken äußern können. Für Betroffene sind diese Ängste oft nicht allein zu bewältigen. Beratung und Unterstützung für Menschen mit Angststörungen gibt es zum Beispiel bei der Deutschen Angst-Hilfe.

"Unser Nervensystem ist angespannt"

Ein weiterer Grund dafür, dass einige Menschen laut Klimmer im Laufe ihres Lebens mehr Furcht vor bestimmten Dingen entwickeln, kann sein, dass das Stresslevel steigt und die sogenannte "mentale Spannkraft" nachlässt. Diese bezeichnet die Fähigkeit, flexibel auf Reize von außen zu reagieren. Lässt die mentale Spannkraft nach, ist das Nervensystem so angespannt, dass Reize schwieriger abzufedern sind. Dies beobachtet die Psychotherapeutin zum Beispiel auch bei der Arbeit mit Menschen, die Flugangst haben: Schon ein leichtes Wanken des Fliegers könne sich dann anfühlen, als gäbe es schlimme Turbulenzen.

Wenn jemand mit einer Grundangst in ein Flugzeug steigt, erlebt er Reize im Vergleich zu jemandem, der nicht mit Stress im Flieger sitzt, siebenfach verstärkt. Marion Klimmer, Psychotherapeutin und Coach

Dies lässt sich auch auf das Achterbahn-Beispiel übertragen: Mit einem steigenden Stresspegel seien wir dünnhäutiger, so Klimmer - Reize wie zum Beispiel Schnelligkeit würden dadurch gravierend heftiger wahrgenommen.

"Vorerfahrungen beeinflussen uns emotional"

Aber es sind auch unsere zurückliegenden Erfahrungen, die uns emotional beeinflussen können - zum Beispiel, wenn es um die Risikobereitschaft beim Skifahren geht. "Wenn es Vorerfahrungen gibt, die sich schlecht ins Gedächtnis eingebrannt haben - zum Beispiel ein Sturz oder Erzählungen von Stürzen - entwickeln wir leichter Ängste", erklärt die Expertin. Wer solche Erfahrungen nicht habe, sei in seiner Freude und seinem Genussempfinden "unverdorbener".

Wer sich also mit fünf Jahren auf die Skier gestellt hat und los geprescht ist, ohne dass sich im Laufe der Jahre schlechte Erfahrungen eingebrannt haben, dem sollte es auch als Erwachsener leichter fallen, ohne Furcht auf der Piste unterwegs zu sein. Schwieriger werde es, als Erwachsener Skifahren zu lernen - denn Erwachsene lernen nicht mehr so spielerisch wie Kinder.

"Der eigene kleine Projektplan": Wie bekommen wir unsere Angst in den Griff?

Vorsicht ist in einigen Situationen sinnvoll, um nicht in Gefahr zu geraten. Aber was, wenn wir feststellen, dass wir uns immer öfter ängstlich verhalten und unsere Angst in bestimmten Situationen überwinden wollen?

Ich würde empfehlen, die Wahrnehmung darauf zu lenken, objektiv und rational zu betrachten, was an diesen Ängsten Sinn macht und was irrational ist.

Marion Klimmer rät, in solchen Fällen vom Kopf gesteuert in die jeweilige Situation zu gehen und zu versuchen, positive Erfahrungen zu machen. Zum Beispiel, indem man sich dem Thema durch kleine Übungen Stück für Stück nähert - "mit einem eigenen kleinen Projektplan".


Weniger Angst durch Schlaf und gesunde Ernährung?

Ein weiterer Tipp der Therapeutin zum Umgang mit Situationen, in denen uns mulmig zumute ist, stammt aus der Schlaf- und Stressforschung: Laut Klimmer sollten wir auch körperlich möglichst entspannt in die jeweilige Situation gehen.

Man muss dafür sorgen, dass der Körper fit und gesund ist.

Dies bedeute nicht nur, dass wir ausgeschlafen sein sollten. Wir sollten vorher auch vernünftig und gesund essen und vor allem genug Wasser trinken - "das ist enorm wichtig, um den Körper zu entstressen."

Am Ende sind die Methoden gegen die Angst vor Achterbahn, Ski-Piste und Co. genauso vielfältig wie die Gründe für unser Unwohlsein. Die beruhigende Nachricht ist jedoch: Ihr seid nicht allein. Und wenn es um eine unüberwindbare Angst vor der Achterbahn oder der steilen Ski-Piste geht, seht es einfach positiv: Irgendjemand muss ja die Taschen halten oder den Platz fürs Après-Ski klarmachen.

 

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