Stand: 26.02.2024 16:59 Uhr

Zivilcourage: "Jeder kann helfen!"

Ob wir anderen Menschen in Notsituationen helfen, ist nicht nur eine moralische Frage - wir sind auch gesetzlich dazu verpflichtet. Wie wir helfen können, ohne uns dabei selbst in große Gefahr zu bringen.

Ein 18-Jähriger aus Groß Kummerfeld hält einen Mann auf dem Supermarkt-Parkplatz davon ab, mit einem Messer auf dessen Lebensgefährtin loszugehen. Eine 24-Jährige rettet ein zwei Jahre altes Kind in Delmenhorst vor dem Ertrinken. Ein Mann und eine Frau hindern Trickbetrüger in Hamburg an der Flucht, indem sie den Fluchtwagen mit ihren eigenen Autos einkeilen.

Es sind Geschichten wie diese, die Mut machen - Geschichten, in denen Menschen nicht weggeschaut, sondern geholfen und so Zivilcourage bewiesen haben. Situationen, in denen Menschen das Wohl anderer über ihr eigenes gestellt und beherzt eingegriffen haben.

Doch leider gibt es manchmal auch traurige Geschichten. Geschichten, in denen doch weggeschaut wird. So wurden Anfang Oktober zwei Männer und eine Frau verhaftet, die nicht geholfen haben sollen, als ein betrunkener Mann in Bayern in einen Kanal gefallen und ertrunken ist. Gegen sie wird nun wegen Totschlags durch Unterlassen ermittelt.

Wegschauen kann strafbar sein

Denn was viele nicht wissen: Zivilcourage ist nicht immer ausschließlich eine Frage der Moral. Ist jemand in Not, sind wir auch gesetzlich verpflichtet zu helfen. Beschrieben wird diese Pflicht im Strafgesetzbuch unter der Überschrift "Unterlassene Hilfeleistung":

(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. § 323c StGB

Das bedeutet: Wegschauen kann strafbar sein. Doch wann genau sind wir verpflichtet zu helfen - und wie weit sollten wir dabei gehen, wenn uns in einer gefährlichen Situation selbst das Herz in die Hose rutscht?

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"Hilf, aber bring dich nicht in Gefahr"

Ein Patentrezept, wann wir wie helfen müssen, gebe es nicht, erklärt Polizeidirektor Joachim Schneider vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg. Dies sei immer abhängig von den Umständen des Einzelfalls. "Der Gesetzgeber legt fest, dass man bei Unglücksfällen, Gefahren oder Not Hilfe leisten muss - und das im Rahmen seiner Möglichkeiten", erklärt Schneider. Man müsse helfen, "wie es den Umständen nach zumutbar ist, ohne sich selbst in erhebliche Gefahr zu bringen."

So sei es für einen guten Schwimmer zumutbar, nicht nur Hilfe zu rufen, sondern auch ins Wasser zu springen, um einem Menschen in Not zu helfen - wenn die Rahmenbedingungen stimmen: "So etwas wie die Wassertemperatur und Strömungen muss man natürlich mit einbeziehen. Aber dann ist das Gebot der Stunde: hinschauen und handeln."

Dies sei der erste Grundsatz, den Schneider und seine Kolleginnen und Kollegen, die mit der "Aktion-Tu-was" zu mehr Zivilcourage aufrufen, Menschen mitgeben: "Hilf, aber bring dich nicht in Gefahr."

Zivilcourage-Regeln

Die sechs Regeln der "Aktion Tu was"

Die "Aktion Tu was", eine Initiative der Polizei für mehr Zivilcourage, hat sechs Regeln zum Helfen aufgestellt:

1. Acht geben: Hilf, aber bring dich nicht in Gefahr
2. Polizei rufen: Ruf die Polizei unter 110
3. Hilfe holen: Bitte andere um Mithilfe
4. Detail erkennen: Präg dir Tätermerkmale ein
5. Mithelfen: Kümmer dich um Opfer
6. Mund aufmachen: Sag als Zeuge aus


"Jeder kann mit seinen Mitteln und seinen Grenzen handeln und helfen"

Manchmal haben wir nur wenige Sekunden, um zu entscheiden, wie wir am besten auf eine bedrohliche Situation reagieren. Sollten wir dazwischen gehen, wenn sich zwei Menschen auf der Straße streiten und Aggression in der Luft liegt? Was machen wir am besten, wenn jemand in Bus oder Bahn von Fremden belästigt wird?

Auch ein Anruf unter der 110 ist schon eine große Hilfe - ich muss nicht immer eine Heldentat vollbringen, um anderen zu helfen. Joachim Schneider, Leiter der Landesprävention beim LKA Baden-Württemberg

Ob wir uns entscheiden, aktiv einzugreifen oder uns zunächst im Hintergrund halten - Schneider appelliert: "Wichtig ist: hinschauen, nicht wegschauen." Jeder könne mit seinen Mitteln und seinen Grenzen handeln und helfen - mit einem Anruf bei der Polizei sei schon ein erster Schritt getan.

Hemmschwelle Notruf: "Niemand muss Sorge haben"

Schneider ruft dazu auf, dabei nicht zu zögern - niemand müsse Sorge haben, umsonst die Polizei zu rufen. "Ob es tatsächlich und dann zum Glück umsonst war, kann man erst nach Klärung des Sachverhalts beurteilen", so der Polizeidirektor.

Daher rät er, in verdächtigen Situationen oder anderen Notsituationen keine Abwägung zu treffen, ob man die Polizei rufen solle oder nicht: "Rufen Sie uns an - wir klären das." Auch Kosten oder andere Nachteile würden auf niemanden zukommen, der in guter Absicht die Polizei gerufen habe.

Zivilcourage: Beobachten und helfen

Gibt es in einer Situation Opfer und Täter, kann es ebenfalls helfen, die Situation genau zu beobachten.

Prägen Sie sich auf jeden Fall Merkmale des Täters oder der Täter ein. Sie helfen dem Opfer, wenn jemand im Rahmen der Fahndung dingfest gemacht werden kann. Joachim Schneider, Polizeidirektor

Deswegen sollten wir uns der Polizei auch als Zeuge zur Verfügung zu stellen - und zwar nicht nur, wenn wir direkt auf unsere Beobachtungen angesprochen werden. Vielmehr sollten wir vor Ort proaktiv auf die Polizei zugehen und Informationen, die helfen könnten, weitergeben.

Helfen - aber sicher

Entscheidet ihr, euch in eine aggressive Auseinandersetzung einzumischen, ist es wichtig, dass ihr euch selbst dabei nicht in große Gefahr bringt. Schneider rät, körperlich und verbal Distanz zum Täter zu halten. Oft reiche es schon aus, sich bemerkbar zu machen und "Hören Sie auf" zu rufen.

Dabei sei es wichtig, den Täter nicht zu duzen: "Das könnte Umstehenden den Eindruck vermitteln, dass es sich um eine private Streitigkeit handelt." Diese könnten sich dadurch weniger verantwortlich fühlen, ebenfalls zu helfen.

Um umstehende Menschen zur Mithilfe zu bewegen, gibt es übrigens einen Trick: Statt "Kann hier irgendjemand helfen?" zu rufen, empfiehlt Schneider, Menschen mit Hilfe konkreter Merkmale anzusprechen:

Direkten Ansprachen wie 'Sie in der blauen Jacke - können Sie bitte helfen?' oder 'Sie in dem bunten Kleid - rufen Sie bitte die Polizei an?' kann sich in solchen Situationen niemand entziehen.

"Es ist wichtig hinzuschauen"

Ob ihr die Polizei ruft und euch Tätermerkmale einprägt, ob ihr euch aktiv in eine Situation einmischt oder ob ihr Opfern Erste Hilfe leistet: Wichtig ist, dass jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten hilft, erklärt Joachim Schneider vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg: "Ich spreche immer von einer Kultur des Hinschauens: Nicht aus falscher Scham oder aus anderen Beweggründen wegschauen und die Situation ignorieren. Wenn jemand in Not ist, muss man aktiv handeln und tätig werden."

 

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Dieses Thema im Programm:

N-JOY | N-JOY mit Susan Hammann | 14.10.2020 | 09:00 Uhr

N-JOY © NDR
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